„Ich soll eine Ausstellung zum Thema Bergarbeiterkunst organisieren.“ Ratlos sah mich meine Freundin an. Sie hatte keinen Bezug zum Thema und wusste auch nicht, dass ich ein Spross aus einer alten Bergarbeiterfamilie bin.
Ich begann zu erzählen. Von Onkel Erich, der Bergmann war und in seiner Gartenlaube wunderbare Bilder malte. Wir lebten Seite an Seite in dem kleinen Haus, in dem er und auch ich geboren worden waren. Schon als Vierjährige saß ich in einer Ecke seines Ateliers und sah ihm gebannt beim Malen zu. „Die wird mal Malerin“, prophezeite er meinen Eltern. Damals nahmen sie das noch gelassen hin.
Doch später im Leben begannen sie sich ernsthafte Sorge über meine Zukunft zu machen – denn ja, ich wurde eine Malerin. Sie meinten es gut mit ihrer Tochter und hätten es gern gesehen, wenn ich die Malerei aufgegeben hätte. Aber sicher gibt es für Eltern schlimmere Schicksalsschläge als das, was ihnen widerfahren ist.
Weil sie mich darum bat, schrieb ich meiner Freundin die Geschichte von meinem Onkel Erich auf. Sie hing an der Wand in ihrem Büro, und tatsächlich wurde sie dadurch inspiriert.
Ich gab auch meiner Mutter den Text. Damals machte sie sich schon lange keine Sorgen mehr um meine berufliche Zukunft, denn sie hatte alles vergessen – sogar dass ich ihre Tochter war.
Aber es geschah ein Wunder. Sie konnte sich wieder an das kleine Haus und die Bilder von Onkel Erich erinnern. Die Finsternis des Vergessens und die Leere, die dadurch entstanden war, war für sie zu einem unerträglichen Zustand geworden. Doch nun kam ein kleines Stück Erinnerung zurück, und das machte sie sehr glücklich.
Jetzt begann ich für sie ihr Leben aufzuschreiben. Ihre Kindheit in den Kriegsjahren, die Zeit der Evakuierung, die Liebesgeschichte mit meinem Vater in den Fünfziger Jahren. Über ihre kleine Tochter, die frei aber geborgen in der Großfamilie des Blumenhauses aufwuchs. Voller Freude las sie meine Texte. Und wenn sie das Gelesene wieder vergaß, konnte sie die Texte erneut lesen, und da war es wieder ihr Leben! So gelang es ihr als an Alzheimer erkrankter Frau nicht völlig verloren zu gehen.
Als sie starb nach Jahren, konnte ich nicht aufhören zu schreiben. Nun schrieb ich Geschichten, die weit über das Leben meiner Mutter hinausgingen. Meine kleine Heldin Johanna hatte so viel Geschichten gehört und erlebt, und sie wollten alle erzählt sein.
So ist ein Buch entstanden, das ein großes Puzzle des Zwanzigsten Jahrhunderts – begonnen 1916 bis zum Jahr 1972 – zu einem bunten Bild verwebt.
Ja, es gibt viel Farbe in meinen Texten – aber das wird wohl niemanden verwundern.