Beschreibung eines Arbeitsprozesses

English translation below.

Der nachfolgende Text entstand für den Katalog ‚Farb-Begegnungen‘ und bezieht sich auf die Entstehung der unter Farb-Malerei gezeigten Aquarelle.


Stirne Gottes Farbe träumt
Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel

– ‚In den Nachmittag geflüstert‘, Georg Trakl

Farbe ist ein gewaltiger Traum und ein alltägliches Phänomen, dem wir zumeist mit Gleichmut begegnen.

Sie ist erforscht, benannt, bestimmt. Farben sind gleichermaßen Gegenstand physikalischer Forschungen, der Psychologie und der Poesie.

In diesem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Poesie, malerischer Systematik und Intuition sind die Bilder der Ausstellung entstanden.

Ausgehend von den physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Spektralfarben und dem sich auf Goethes Farbenlehre beziehenden Farbkreis von Runge, habe ich eine Versuchs­reihe entwickelt, mit der ich den Eigenwillen einer jeden Farb als auch die un­terschiedlichen Begegnungen und Mischungen zum Ausdruck bringen wollte.

Der schwer zu beschreibende künstlerische Prozess forderte mir ein Höchst­maß an Zurückhaltung und an Gewahrsein ab. Denn jede Farbe spricht ihre eigene Sprache und verlangt nach der ihr eigenen Form und Bewegung in der Bildfläche. Jede Farb­mischung, jedes Abweichen von der „reinen Farbe“ fordert eine neue Form und jede Begegnung der Farben miteinander einen anderen Ausdruck.

Dieses Verlangen wahrzunehmen und handwerklich umzusetzen, war meine selbst gewählte Aufgabenstellung und Kern des künstlerischen Prozesses.

Dafür musste ich mir sowohl das Bewegungs- und Flächenverhalten der reinen Farben in ihren unterschiedlichen Farbstellungen (hell/dunkel nach Runge) als auch ihre gegenseitige Beeinflussung, d.h. ihr Kommunikationsverhalten untereinander vergegenwärtigen.

Um dieser künstlerischen Fragestellung gerecht zu werden, war es notwendig, systema­tisch vorzugehen. Ausgangspunkte der Struktur, die ich mir geschaffen habe waren:

  1. die reinen Farben des erweiterten Farbkreis von Runge:

Zitronengelb,
Goldgelb,
Zinnoberrot,
Karminrot,
Preußischblau,
Ultramarinblau,

  1. und der sich daraus ableitende 12 teilige Farbkreis:

Zitronengelb
Goldgelb
Hell Orange
Dunkel Orange
Zinnober
Karminrot
Rotviolett
Blauviolett
Preußischblau
Ultramarinblau
Dunkel Grün
Hell Grün

  1. die Einteilung in Farbgruppen:

Lichtfarben (Spektralfarben)
Erdfarben (Mischfarben außerhalb des Farbkreises)
Pastellfarben (mit Schwarz und Weiß gebrochene Farben).

Dank dieser Struktur ist es mir gelungen, eine Systematik zu entwickeln, mit der sich meine künstlerischen Vorstellungen realisieren ließen.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass es keine objektive Farbwahrnehmung gibt. Jeder Mensch sieht Farbe anders und die jeweilige Interpretation des Gesehenen ist notwendigerweise individuell. In diesem Sinne ist meine Arbeit auch eine persönliche Stellungnahme – eine individuelle Form der Kommunikation mit dem objektiven Phänomen Farbe.

Meine Reise durch den Farbkreis.

Physikalisch gesehen ist Gelb das erste Sichtbarwerden von Licht und damit auch von Farben. Das Wesen von Gelb ist erstes Erwachen, Transparenz und Flüchtigkeit. Kommt das Rot hinzu, so entstehen Ballungen, Formen und Ma­terie im Orange. Diese verdichten sich immer mehr im Zinnoberrot und Kar­minrot, bis sie im Dunkel des Violett versinken, verschwinden und sich im fast Schwarzen wieder auflösen.

Das Preußischblau, das dem Violett im Farbkreis folgt, ist wieder ganz Struktur und Festigkeit. Im Ultramarinblau löst sich diese Festigkeit auf, läutert sich zum flüssig Bewegten und geht über in die Organik des dunkel Grün. Das helle Grün findet seinen Weg zurück in die Leuchtkraft und Transparenz des ersten zaghaften Gelb.

So lässt sich meine Reise durch den Farbkreis beschreiben. Als ein Weg der Veränderung von Form und Wesensart. Wie in der Musik jeder Ton seinen ei­genen Widerhall in uns findet, so löst auch jeder Farbton seine eigenen Klänge und Bewegungen im malerischen Prozess aus:

Was geschieht, wenn die beiden Rottöne Zinnober und Karmin sich mit den beiden Blautönen Preußisch und Ultramarin treffen, und nicht ihre Ver­mischung, sondern ihr Neben- und Miteinander gesucht wird, in welche Form drängt  sich dann das ballende Rot und das sich verströmende Ultramarinblau? Solche Begegnungen habe ich gesucht und als malerischen Prozess durch­lebt.

Zinnoberrot – oder das Innere der Erde.

Aus den Erdfarben wiederum leuchtet uns in fast jeder Farbstellung das Zinno­berrot entgegen. Wie der feurige Kern der Erde, durchstrahlt und durchglüht Zinnoberrot das dunkel Braun ebenso wie das helle Ocker. Auch das Ge­heimnis des Umbragrün liegt im nicht sichtbaren Karminrot verborgen.

Rot ist die Farbe, die allem, was Materie ist, am nächsten zu stehen scheint. Sie drängt in die Form und Festigkeit wie keine andere Farbe sonst. An keiner Stelle hat sich mir der Charakter von Rot derart deutlich erschlossen, wie in dem malerischen Prozess zu den Erdfarben.

Auch das Karminrot, die Farbe unseres Blutes, ist in den Erdfarben mitbeheimatet. Rot wird häufig geliebt aber auch gefürchtet, es mag seine „Weltlichkeit“ sein, die neben der objektiven intensiven Wirkung auf unsere Netzhaut, diese heftigen Reaktionen bei uns auslöst.

Schwarz und Weiß – keine Farben – aber eine eigene Welt.

Das Weiß und sein Gegenpart, das Schwarz – die Nicht-Farben, greifen in den Klang der reinen Farben ein und verwandeln sie in etwas völlig anderes. Sie brechen sie zu Pastelltönen. Farben, die wir in der natürlichen Umwelt häufig am Himmel finden.

Aber sie sind nicht flüchtig wie die Wolken, auch Schwarz und Weiß geben Struktur. Doch ihre Struktur erscheint weniger weltlich, die Leuchtkraft der reinen Farben verschwindet und etwas Entrücktes, weniger Fassbares tritt an ihre Stelle. Die Pastelltöne gehen auf Distanz.

Die Begegnung von Grau und zum Lila gebrochenen Violett hat eine Dynamik, die eher dem Intellekt als der Emotion verwandt zu sein scheint. Klein­strukturierte Formen und klare Begrenzungen drängten sich mir beim Malpro­zess auf.

Die durch starke Farben gereizten Augen finden im Grau, Ruhe und Entspannung. Wohltuende Stille tritt ein, wenn die Farben verschwinden.

Bei jedem einzelnen Blatt war ich als Beobachterin und Akteurin gleicherma­ßen gefordert. Mein Respekt vor den Farben, ihren Eigenwillen und ihre Wir­kung auf uns ist im Laufe des Arbeitsprozesses immer mehr gewachsen. Ir­gendwann ist die Grenze verschwunden, an der die Farbe nicht mehr als Mittel zum Zweck diente, sondern ein lebendiger Dialog zwischen mir und dem Ausdruckswillen der jeweiligen Farben entstand.

Auch nach vier Jahren bin ich mit meinen Untersuchungen zur Wesensart der verschiedenen Farben noch nicht zum Ende gekommen. Es wäre sicher auch vermessen, dieses Ende für sich in Anspruch zu nehmen.


MEETING OF COLORS

Description of a work process

The following text was written for the catalog ‚Encounters of Colors‘ and discusses the conception and creation of the watercolor paintings shown here.

Brow of God dreams of hues,
Senses madness‘ gentle wings
– ‚Whispered into Afternoon‘, Georg Trakl

Color is a powerful dream and a daily phenomenon at the same time, the latter we mostly meet with equanimity.

Colors are explored, named, defined. Colors are the subject of physical research, of psychology and of poetry at the same time.

The works of the exhibition were created in this tension between science and poetry.

Starting from the physical principles of spectral colors and Runge’s circle of colors based on Goethe’s theory of colors, I developed a series of experiments in which I wanted to explore the character of each color, as well as different encounters and mixtures of them.

The artistic process is difficult to describe, requiring a maximum of contemplation and awareness on my part. Each color speaks its own language and demands its own form and motion on the painting. Each color mixture, each deviation of the pure color asks for a new form and each encounter of colors demands a different expression.

My chosen task and core of the artistic process was to become aware of this desire and to realize it technically.

To achieve this goal, I had to understand how the pure colors appear in motion and in expanse, in different color settings (light/dark according to Runge) as well as become aware of how they react to one another, how they communicate.

In order to tackle this artistic question it was necessary to approach it systematically. The structure I created started from:

1)   pure colors of Runge’s color circle:

lemon yellow
golden yellow
vermillion/cinnabar
crimson
Prussian blue
ultramarine blue

2)   and derived from this the twelvepart color circle:

lemon yellow
golden yellow
light orange
dark orange
vermillion/cinnabar
crimson
red violet
blue violet
Prussian blue
ultramarine blue
dark green
light green

3)   classification of color groups:

Luminous colors (spectral colors)
Earth colors (mixed colors outside the color circle)
Pastel colors (colors broken with black and white).

Using this structure, I succeeded in developing a system by which I could realize my artistic visions.

I am fully aware that there is no such thing as objective color perception. Every human perceives color in a different way and each interpretation of the seen is necessarily individual. In this sense, my work is a personal statement – an individual form of communication with the objective phenomenon “color”.

My journey through the circle of colors

Seen from a physical point of view, yellow is the first emergence of light and thereby also of color. The nature of yellow is first awakening, lucency and fleeting. Adding red gives it mass, forms and matter developing to orange. These condense more and more into cinnabar and crimson until they sink into the darkness of violet and dissolve in almost black.

Prussian blue, which follows violet in the circle of color, is again all structure and firmness. This firmness dissolves in ultramarine blue, changes to fluid motion and passes on to the organic movement of dark green. Light green finds its way back to the luminance and lucency of the first shy yellow.

You could describe my travels through the color circle a path that reacted to the form and essence of colors. Like in music, where each chord finds its own echo within ourselves, each hue causes its own sound and motion in the process of painting:

What happens when cinnabar and crimson meet with Prussian and ultramarine blue, not mixed together but juxtaposed in a dialog? Which form will the agglomerating red and the exhaling ultramarine blue then urge into? I sought these encounters and experienced them during the painting process.

Cinnabar – or the the earth’s core

In almost all earthed-colored combinations cinnabar shines through. Like the fiery core of the earth, it radiates and glows both in dark brown as well as in light ocher. Also the secret of umber green lies hidden in invisible crimson.

Red is the color that seems to be closest to everything that makes up matter. It urges into form and firmness like no other color. The character of red became so evident to me during the process of painting earth colors.

Also crimson, the color of our blood, is indegenous in earth colors. Red is often favored, yet feared. Maybe its “worldliness”, besides its objectively intensive effect on our retina, is responsible for these fierce reactions.

Black and white – no color but a world of its own

White and its counterpart black – the “non-colors” – intervene in the color tone of the pure colors and change them into something completely different. They change them to pastel colors, often in ourour natural environment, such as the sky.

But they are not as ephemeral as clouds, black and white also give structure. But their structure seems less earthly, the illuminating power of pure color disappears and something elusive takes its place. Pastel colors keep their distance.

When grey encounters violet, toned down to lilac, a dynamic is created which seems to address the intellect rather than our emotion. Small structured forms and clear margins come up in the process of painting.

Eyes aggravated by strong colors find peace and relief in grey. Peacefulness enters when colors disappear.

With each work I was challenged as an observer and as a protagonist at the same time. My respect for colors, for their self-will and their effect on us has grown more and more during the working process. Color was no longer the means to an end, but triggered a vivid dialogue between myself and the expressiveness of each color.

Thus 42 pictures came into being, and I have still not finished my research into the nature of the different colors. It certainly would be presumptuous to claim such a completion.