Farb-Malerei

Ein Gespräch

Englisch translation below.

Regina Selter (stv. Direktorin ‚Museum Ostwall‘, Dortmund):

„Annette, in deinen Aquarellen steht die Farbe als Ausdrucksmittel im Vordergrund. Deine künstlerische Position lässt sich somit in den Bereich der Farbmalerei bzw.  des konzeptuellen Umgangs mit Farbe einordnen.

Für die Autonomie von Farbe, ihre Loslösung vom Gegenstand lassen sich zahlreiche historische Bezüge finden: Im 19. Jahrhundert wird für Cezanne und Monet die Farbe zum primären Medium ihrer Malerei. Im 20. Jahrhundert lässt sich eine konzeptionell bestimmte Farbmalerei verorten. Vor allen Dingen die amerikanischen Künstler der New York School, wie die Vertreter der Color-Field-Panting, haben nach dem Zweiten Weltkrieg wesentliche Impulse zu dieser Entwicklung gegeben. Hier sind sicherlich Barnett Newmann, Mark Rothko, Ad Reinhardt oder Clyfford Still zu nennen, die – wenn auch individuell unterschiedlich – das Bild als Möglichkeit begriffen, eine transzendente Dimension zu vergegenwärtigen. Sie suchten wie etwa Newmann, die Überwältigung des Betrachters, seine Entrückung aus der Sphäre des Alltäglichen. (*1)

Die Konzentration auf die Wirkungsmöglichkeiten der Farbe wurde auch in Europa bis heute fortgesetzt. Aktuelle Beispiele sind die Dauerleihgabe der Richard-Dr.-Carl-Dörken-Stiftung an das Museum am Ostwall mit Werken von Raimer Jochims und Ricardo Saro.“

Annette Süß:

„Meine Position lässt sich dem Kontext dieser Entwicklung zuordnen. Die größte Nähe besteht sicherlich zu der Arbeit von Mark Rothko, weil er die spirituelle Dimension der Farbe ins Zentrum seiner Arbeit stellt, während andere der folgenden Generation vor allem an der Objektivierung der Farbe und ihrer Befreiung von inneren Ausdrucksqualitäten interessiert waren.

Hintergrund des von mir vertretenen Farbkonzeptes ist die Farbenlehre von Goethe, auch er interessierte sich ja mehr für die Wirkungsweise der Farben als für deren Objektivierung durch die Naturwissenschaften. Das war der Hintergrund für seinen langjährigen Disput mit I. Newton.“

Regina Selter:

„Mit Blick auf deine künstlerische Entwicklung fällt auf, dass du bis 1997 in verschiedenen Medien wie dem Holzschnitt oder der Ölmalerei figurativ gearbeitet hast. Was motivierte dich dazu, Farbe als Hauptausdrucksmittel zu wählen, diese formale Reduktion vorzunehmen und auf jegliche gegenständliche Bezugnahme zu verzichten?“

Annette Süß:

„Die Motivation hierfür leitet sich aus einem persönlichen Erkenntnisinteresse ab.

Dieses hat sich aus der langjährigen künstlerischen Arbeit mit Farbe entwickelte. So wurde mir irgendwann deutlich, dass ich sicherlich nicht zufällig für die Untermalung gegenständlicher Ölmalei immer Umbragrün für die zeichnerische Struktur gewählt habe. Denn Umbragrün ist eine Farbe, die stark in die die Struktur drängt.  Diese anfänglich eher unbewusste Wahl wiederholte sich z.B. in der Aktmalerei. Dort war es das immer präsente Zinnoberrot für die Körperflächen. Auch die in ihrer Oberfläche vollkommen weiß erscheinenden Akte sind in der Untermalung Zinnoberrot. Zinnoberrot hat eben die Wärme und expansive Kraft, die Körpern eigen ist.“

Regina Selter:

„Das heißt, farbtheoretische Überlegungen waren bereits bei der gegenständlichen Malerei zentraler Bestandteil deiner künstlerischen Prozesse?“

Annette Süß:

„Ja und nein! Ich habe sehr früh bewusst mit dem 12 teiligen Farbkreis von Philipp Otto Runge gearbeitet, den er aus der Farbenlehre Goethes abgeleitet hat. Dieser Farbkreis ist für mich das pragmatische, handwerkliche Modell, an dem ich mich immer orientiert habe.

Durch meine Erfahrungen in der Praxis sind dann neue Fragestellungen entstanden. Das Phänomen der „Eigenwirksamkeit / Eigenwilligkeit“ jedes Farbtones und der Kommunikation der Farben miteinander rückte ins Zentrum meines Interesses.“

Regina Selter:

„Wie definierst du das Verhältnis von Farbe und Form und was bestimmt deine Farbauswahl?“

Annette Süß:

„Jede Farbe drängt in die ihr eigen Form und hat damit ihre eigene Qualität, was ihre bildnerische Wirkung betrifft. Die Auswahl von Farben für eine wie auch immer geartete Malerei ist also meiner Überzeugung nach nicht Zufall, sonder der bewusste oder unbewusste Rückgriff auf diese Qualität.

Farben zu begegnen, bedeutet auf sie zu reagieren. Nicht wir allein machen etwas mit der Farbe, die Farbe ihrerseits löst auch in uns einen physischen und psychischen Prozess aus. Über dieses Phänomen von Aktion und Reaktion im malerischen Prozess zu kommunizieren, ist ein Haupanliegen meiner Arbeit.

Wenn die Farbe uns ausschließlich als Farbe berührt, geschieht etwas mit uns, was sich der alltäglichen Erfahrungswelt entzieht. Unser ästhetisches Empfinden wird angesprochen und das löst wiederum eine ganze Reihe weiterführender Prozesse aus. Es wird Raum geschaffen für neue Ideen und kreative Prozesse.“

Regina Selter:

„Bezogen auf die meditative Wirkungsweise deiner Bilder, sehe ich Parallelen zu Mark Rothkos Farbkompositionen. Er hat einmal gesagt: „Mich interessieren nicht die Beziehungen von Farbe, Form und irgendetwas anderem. …. Mich interessiert nur der Ausdruck grundlegender menschlicher Gefühle – Tragik, Verzückung, Verhängnis und so weiter. Die Tatsache, dass so viele Menschen vor meinem Bildern zusammenbrechen und weinen, zeigt, dass ich mit diesen grundlegenden menschlichen Gefühlen in Verbindung stehe. Die Leute, die vor meinen Bildern weinen, machen dieselbe religiöse Erfahrung, die ich beim Malen gemacht habe. Wenn sie, wie Sie sagen, nur von den Beziehungen der Farben beeindruckt sind, so haben sie das Wesentliche nicht begriffen.“ (*2)“

Annette Süß:

„Ja, es gibt Parallelen zwischen seiner Arbeit und der meinen. Es geht mir genauso wie Mark Rothko um eine Erkenntnis aus der Anschauung heraus und nicht um vermeintliche Objektivität.

In der äußeren Form jedoch sind Rothkos und meine Arbeiten sehr unterschiedlich. Schon allein die Wahl des Materials – Rothko verwendet z.B. Öl auf Leinwand und Gouache auf Papier – zeigt eine völlig andere Herangehensweise. Nur die Vielschichtigkeit des Farbauftrages und die dadurch entstehende Bildtiefe ist uns formal gemein. Sicherlich auch der Wechsel zwischen Farbdichte und Transparenz. Der wesentlichste und deutlichste Unterschied ist die Raumauffassung. Rothko setzt seine Farben in mehr oder weniger geschlossene Rechtecke und Balken vor anders farbigen Hintergrund. Ich hingegen habe bewusst zugunsten des farblichen Eigenwillens auf formale Formgebung verzichtet. Mein Anliegen ist es jede Farbe und jede Farbkomposition in die ihr eigene Form kommen zu lassen. Deshalb hat jedes Bild seine eigene Gestallt.

Auch geht es mir ganz und gar nicht um religiöse Gefühle und Spiritualität. Was ich im Betrachter / der Betrachterin ansprechen möchte, ist viel mehr das ästhetische Empfinden und die diesem Empfinden innewohnende Erkenntnismöglichkeit.

Ästhetik – verstanden als die Lehre von der Harmonie in der Kunst und in der Natur, ist meiner Überzeugung nach ein wesentliches Element zur geistigen Klärung.

Es ist der Zustand von geistiger Wachheit und emotionalem Gewahrsein, der immer auch auf der Körperebene einen positiven, d.h. auch ästhetischen Impuls benötigt, der mir ein Anliegen ist.

Nicht eine Welt der schönen Bilder, die uns einlullt in ihren schönen Schein, sondern die Erkenntnis von Schönheit in den einfachen Dingen – wie z.B. der Farbe – die uns erst zu Menschen macht.

Meiner Überzeugung nach ist eine Aufgabe der Kunst unser Menschsein zu befördern, also uns wiederum über die Kunst hinaus zu verweisen. So wie es Friedrich Schiller in seiner ästhetischen Erziehung des Menschen ausführt „… um jenes politische Problem in der Erfahrung zu lösen, durch das das Ästhetische den Weg nehmen muss, weil es die Schönheit ist, durch welche man zur Fryheit wandert.“ (*3)

Das Ästhetische ist uns heute zu recht verdächtig geworden, dennoch glaube ich, dass der Begriff so wie ihn Schiller verwendet, nämlich als Weg zur Emanzipation, seine Berechtigung hat.“


(*1) (vgl. Kapitel „Purismen der New York School“, in Kunst-Epochen 20. Jahrhundert II Stuttgart: Reclam, S.52 – 75 und Aufsatz von Heinz Liesebrock „Farbe ist Energie“, in Ausstellungskatalog Ricardo Saro, Westfälischer Kunstverein, Münster 1994).
(*2) (Zitiert nach Ivo Kranzfelder über Mark Rothko, in: Bestandskatalog „Einblicke. Das 20.Jahrhundert in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen“, Düsseldorf 2000, S. 665).
(*3) (zitiert nach: Friedrich Schiller:1793 „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, 2. Brief, Seite 11, Reclam).

Color Encounters – A Conversation

Annette Süß and Regina Selter

Regina Selter: Annette, color as a means of expression plays a dominating role in your watercolors. Therefore, your artistic position ranges between color-painting and a conceptual handling of colors.

There are numerous historical references for the autonomous use of color: For Cezanne and Monet in the 19th century, color became the primary medium in their painting. In the 20th century, we find conceptual approaches in many artist’s use of color. Above all, American artists of the New York School, such as the Color-Field-Painters, provided significant momentum to this development after World War II. In this context, we should certainly name Barnett Newmann, Mark Rothko, Ad Reinhardt or Clyfford Still, who – though individually different – understood that paintings could evoke a transcendental dimension. They sought to overwhelm the viewer, as Newmann did for example, to transport him from the sphere of everyday life.

The focus on the potential color has to create an aesthetic impact is still on-going in Europe. Current examples can be found in the works by Raimer Jochims and Ricardo Saro in the permanent loan by the Werner Richard-Dr. Carl Dörken Foundation to the Museum am Ostwall.

Annette Süß: My position is related to the context of this development. Certainly I am closest to the works of Mark Rothko, because his work focuses on the spiritual dimension of color, whereas others of the following generation were more interested in objectivising color and in its inner quality of expression.

My concept of color is based upon Goethe’s color theory. He also was more interested in the effect of color than in its scientific objectivisation. This was the background of his dispute with I. Newton over many years.

Regina Selter: Looking at your artistic development it seems that until 1997 you worked in a variety of media, such as woodcut and oil painting in a figurative way. What motivated you to focus on color as the main means of expression, to provide for a formal reduction and to refrain from any representational reference?

Annette Süß: I was motivated by a personally perceived interest, a result of my artistic work with color over the years. It became clear to me for example, that I did not choose umbra green by accident drawing underlines of representational oil paintings. Since umbra green is a color that strongly affects structure. This initially rather unconscious choice was repeated for example in my nude-paintings, where the omni-present cinnabar depicted the flesh. Even in those paintings where the skin appears white, the underlying color is cinnabar. Cinnabar inherently transports the warmth and expansive power which is unique to human body.

Regina Selter: This means that thinking about color theory played a central part in the artistic process already in the representational painting?

Annette Süß: Yes and no!  Very early I worked consciously with Runge’s twelvepart color circle, which Runge derived from Goethe’s color theory. This color circle is for me a pragmatic technical model to which has always guided my choices.

My practical experiences lead to new questions. The phenomenon of “effectiveness of its own / self-will” of each hue and the communication of colors with each other moved into the center of my interest.

Regina Selter: How do you define the relation between color, and form and what determines your choice of color?

Annette Süß: Each color pushes into a form of its own and has its own quality concerning its artistic expression. I am convinced that chosing colors for whatever painting is not a matter of coincidence but a conscious or unconscious implementation of this knowledge.

To meet colors means to react to them. Apart from choosing to use certain colors, color itself evokes within us a physical and mental process. This phenomenon of action and reaction during the artistic process is what I wish to communicate with my work.

When color affects us solely as color, something happens within us, which is not part of our rational experience. Our aesthetic perception is called upon, and this, in turn, triggers a series of further processes, thereby creating room for new ideas and creative processes.

Regina Selter: Looking at the meditative effect of your pictures, I can see the parallels to Mark Rothko’s color compositions. He once said “I am not interested in the relation of color, form and something else. … I am interested only in the expression of basic human feelings – tragic, delight, fatality and so on. The fact that so many people collapse in front of my pictures and cry, shows that I am in connection with these basic human feelings. People who weep in front of my pictures make the same religious experience which I made in the process of painting. If they are only impressed by the relations of colors – like you say – they did not comprehend the essence.”

Annette Süß: Yes, there are parallels between his work and mine. Like Rothko I seek to evoke an insight through emotion and not through an ostensibly objective approach. In their visual form however, Rothko’s and my works are very different. Starting with his choice of materials – Rothko uses oil on canvas for instance, and gouache on paper –a completely different approach is evident. Formally we only have the multi-layer application of color and the resulting depth of the picture in common, as well as the transition between color density and transparency. The most essential and distinctive difference is the formal use of pictorial space. Rothko contains his colors into more or less closed rectangles and bars in front of a differently colored background. I, however, refrain consciously from any formal shaping in favor of the self-will of the colors. My intention is to let each color and each color composition take on its own form. Thus, each painting encompasses a unique shape.

Also religious feelings and spirituality are not my concern at all. I would like to address the viewer’s aesthetical perception and its possibility to attain insights.

Aesthetics – understood as the doctrine of harmony in arts and nature – is in my view an essential element of mental clarification. It is the state of mental alertness and emotional awareness, which always needs a positive that is an aesthetic impulse at body level. Therefore my concern is not a world of beautiful images, which lull ourself by their beautiful halo. Instead my concern is realization of beauty in simple things – such as color – which makes us human beings. I am convinced that the task of art is to foster our being human, thus to refer beyond the arts. As Schiller explains in his “Aesthetic Education of Man” (1793): “… to arrive at a solution even in the political problem, the road of aesthetics must be pursued, because it is through beauty that we arrive at freedom”.

The aesthetics rightly arouse suspicion nowadays, nevertheless I believe that the term in the sense of Schiller, namely as road to freedom, is justified.